Planetary Health Folge 7: Metasynthese in der Lebensmittelproduktion
Die Landwirtschaft und die natürlichen Ökosysteme bilden seit Jahrtausenden die Grundlage für das Überleben der Menschheit. Was wäre, wenn wir Lebensmittel ohne Sonnenlicht, ohne intensive Flächennutzung und Monokulturen und sogar ohne traditionelle Nutzpflanzen produzieren könnten?
Seit den Anfängen der Landwirtschaft verlassen wir uns auf die Photosynthese, das Sonnenlicht, den Boden und das Wasser, um das zu erzeugen was uns ernährt. Dieses System der Lebensmittelproduktion ist aber sowohl anfällig als auch ressourcenintensiv. Was wäre, wenn wir uns aus dieser Abhängigkeit befreien könnten?
Hier kommt die Metasynthese auf den Plan, ein revolutionäres Verfahren, das die traditionellen biologischen Systeme der Lebensmittelproduktion umgeht und es uns ermöglicht, Lebensmittel auf völlig neue Weise herzustellen. Durch Technologien wie die CO₂-basierte Proteinproduktion, die Fermentation mit erneuerbarer Energie und die Nutzung mikrobieller Prozesse bietet die Metasynthese einen Einblick in eine Zukunft, in der Lebensmittel synthetisiert statt angebaut werden. Unternehmen wie Solar Foods und Calysta demonstrieren bereits die Realisierbarkeit dieser Technologien und versprechen ein nachhaltigeres und widerstandsfähigeres Lebensmittelsystem.
Die Lebensmittelproduktion: ein fragiles System
Das heutige globale Nahrungsmittelsystem ist stark von traditionellen landwirtschaftlichen Praktiken abhängig, die mit erheblichen Umweltkosten verbunden sind. Die Landwirtschaft ist für etwa 26 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und eine der Hauptursachen für Entwaldung, Wasserverknappung und für etwa 70 % des Verlusts an biologischer Vielfalt. Industrielle Anbaumethoden, die durch die Notwendigkeit angetrieben werden, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, haben zu Bodendegradation, Kontamination von Wasserquellen und Verlust von Ökosystemen geführt.
Darüber hinaus ist das System zunehmend anfällig für den Klimawandel. Steigende Temperaturen, unvorhersehbare Wetterlagen und Dürren bedrohen die Ernteerträge und die Ernährungssicherheit, insbesondere in Regionen, die von der Subsistenzlandwirtschaft abhängig sind. Da die Weltbevölkerung bis 2050 voraussichtlich fast 10 Milliarden Menschen erreichen wird, verstärkt sich dieser Druck weiter.
Metasynthese bietet durch die Umgehung der natürlichen Prozesse der Landwirtschaft die Möglichkeit, nicht nur den ökologischen Fussabdruck der Lebensmittelproduktion zu verringern, sondern auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel zu erhöhen.
CO₂-basierte Proteinproduktion
Eines der vielversprechendsten Beispiele für Metasynthese in der Lebensmittelproduktion stammt von Solar Foods, einem finnischen Unternehmen, das ein Verfahren zur Herstellung eines proteinreichen Produkts namens Solein entwickelt hat. Solein wird in einem Verfahren hergestellt, bei dem aus der Luft, Wasser und erneuerbarer Elektrizität gewonnenes CO₂ verwendet wird, um Mikroben in einem Bioreaktor zu züchten. Die Mikroben wandeln das CO₂ durch Fermentation in Protein um, ähnlich wie Hefepilze Zucker in Alkohol umwandeln.
Das Revolutionäre an Solein ist, dass es unabhängig von landwirtschaftlichen Flächen, Sonnenlicht oder Wetterbedingungen produziert werden kann. Mit anderen Worten: Es kann überall auf der Welt hergestellt werden, unabhängig vom lokalen Klima oder der Bodenqualität. Laut Solar Foods hat Solein das Potenzial, mit 100-mal weniger Wasser und deutlich weniger Treibhausgasemissionen als die traditionelle Tierhaltung produziert zu werden. Diese Technologie könnte sich besonders in Regionen als vorteilhaft erweisen, in denen die Landwirtschaft schwierig ist, wie z. B. in Wüsten oder städtischen Umgebungen.
Calysta, ein weiterer wichtiger Akteur in diesem Bereich, arbeitet an einem ähnlichen Verfahren, bei dem Methan-metabolisierende Bakterien zur Proteinproduktion eingesetzt werden. Ihr Produkt FeedKind ist in erster Linie als alternatives Futtermittel für Aquakulturen und Nutztiere konzipiert, aber die zugrunde liegende Technologie könnte auch zur Produktion von Proteinen für den menschlichen Verzehr angepasst werden.
Lebensmittelproduktion von Land und Sonnenlicht entkoppeln
Ein entscheidender Vorteil der Metasynthese ist ihre Fähigkeit, die Lebensmittelproduktion zu entterritorialisieren und die Abhängigkeit von Land und natürlichen Ökosystemen effektiv zu durchbrechen. Die traditionelle Landwirtschaft benötigt riesige Mengen an Ackerland, was oft zur Entwaldung und Zerstörung von Lebensräumen führt, um Platz für Ackerbau und Viehzucht zu schaffen. Dieser Prozess der Landnutzungsänderung hat verheerende Folgen für die Biodiversität und trägt durch die Freisetzung von in Wäldern und Böden gespeichertem Kohlenstoff erheblich zum Klimawandel bei.
Durch die Verlagerung der Lebensmittelproduktion in kontrollierte Umgebungen wie Bioreaktoren ermöglicht uns die Metasynthese, die Beziehung zwischen Nahrung und Land neu zu überdenken. Dies öffnet die Tür für eine Renaturierung – die Wiederherstellung von Ökosystemen, die durch die Landwirtschaft geschädigt wurden. Wenn wir keine Wälder mehr für Ackerland roden oder Weiden nicht mehr mit Vieh überweiden müssen, können wir der Natur erlauben, diese Flächen zurückzuerobern, wodurch neue Möglichkeiten für Biodiversität und Kohlenstoffbindung entstehen.
Das Potenzial für eine Renaturierung ist besonders in Regionen von Bedeutung, in denen die Ausweitung der Landwirtschaft zu einer erheblichen Entwaldung geführt hat, wie z. B. im Amazonas-Regenwald. Durch den Wegfall der flächenintensiven Viehzucht oder des Sojaanbaus könnte die Metasynthese dazu beitragen, die Entwaldung zu verlangsamen und die Erholung geschädigter Ökosysteme zu ermöglichen. Diese Verlagerung stellt ein tiefgreifendes Umdenken über die Umweltauswirkungen der Lebensmittelproduktion dar und könnte eine der wichtigsten Möglichkeiten sein, wie die Metasynthese zur Nachhaltigkeit beiträgt.
Kritik und Herausforderungen
Trotz ihres Potenzials sieht sich die Metasynthese in der Lebensmittelproduktion mit mehreren berechtigten Kritikpunkten und Herausforderungen konfrontiert. Diese Technologien bieten zwar spannende Möglichkeiten, stecken aber noch in den Kinderschuhen, und es ist fraglich, ob sie so skaliert werden können, dass sie den Anforderungen einer Weltbevölkerung gerecht werden.
Technologische Machbarkeit und Energieintensität: Die Herstellung von Lebensmitteln durch Metasynthese, insbesondere in Bioreaktoren, die mit erneuerbarer Elektrizität betrieben werden, ist derzeit energieintensiv. Kritiker argumentieren, dass dieser Prozess zwar den Land- und Wasserverbrauch reduzieren könnte, aber das Energienetz zusätzlich belasten könnte. Während die Welt auf eine Dekarbonisierung ihres Energiesystems zusteuert, besteht die Sorge, dass die Nutzung erneuerbarer Elektrizität für den Anbau von Lebensmitteln mit anderen kritischen Verwendungszwecken konkurrieren könnte, wie z. B. der Stromversorgung von Haushalten oder Elektrofahrzeugen. Darüber hinaus haben Unternehmen wie Solar Foods und Calysta zwar den Machbarkeitsnachweis erbracht, doch die Skalierung dieser Systeme zur Lebensmittelproduktion auf globaler Ebene erfordert massive Investitionen in die Infrastruktur. Die Entwicklung kostengünstiger und energieeffizienter Bioreaktoren ist unerlässlich, wenn die Metasynthese zu einer gängigen Lösung für die Ernährungssicherheit werden soll.
Wirtschaftliche Tragfähigkeit: Die hohen Kosten für die Entwicklung und Instandhaltung von Systemen zur metasynthetischen Lebensmittelproduktion sind ein weiterer Grund zur Sorge. Während die traditionelle Landwirtschaft von jahrhundertelanger Verfeinerung und Investitionen profitiert hat, ist die Metasynthese ein neues und relativ unerprobtes Feld. Es bleibt abzuwarten, ob diese Technologien mit der traditionellen Landwirtschaft konkurrieren können, insbesondere in Regionen mit eingeschränktem Zugang zu fortschrittlicher Technologie.
Öffentliche Wahrnehmung und Akzeptanz: Eine der subtileren Herausforderungen der Metasynthese ist die öffentliche Wahrnehmung. Für viele Menschen mag die Vorstellung von Lebensmitteln, die in einem Labor oder Bioreaktor angebaut werden, unattraktiv sein, insbesondere im Vergleich zu den tief verwurzelten kulturellen und emotionalen Assoziationen mit der traditionellen Landwirtschaft. Um die Verbraucher davon zu überzeugen, Produkte wie Solein oder FeedKind zu akzeptieren, sind öffentliche Aufklärung und ein Umdenken in Bezug auf Lebensmittel erforderlich. Darüber hinaus könnten Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und Regulierung von im Labor hergestellten Lebensmitteln die Einführung metasynthetischer Produkte verlangsamen. Die Regierungen müssen solide regulatorische Rahmenbedingungen entwickeln, um sicherzustellen, dass diese neuen Lebensmittel sicher, nahrhaft und für alle zugänglich sind.
Mögliche Monopolisierung von Lebensmittelsystemen: Ein weiterer Grund zur Sorge ist die potenzielle monopolistische Übernahme metasynthetischer Lebensmittelsysteme durch Unternehmen. Wenn die Lebensmittelproduktion von dezentralen, lokalen Farmen auf einige wenige grosse Bioreaktoranlagen übergeht, die von Grossunternehmen betrieben werden, besteht die Gefahr, dass die Kontrolle über die Lebensmittelressourcen in den Händen einiger weniger konzentriert wird. Dies könnte die globale Ungleichheit verschärfen und neue Formen der Ernährungsunsicherheit in Regionen schaffen, die keinen Zugang zu diesen Technologien haben.
Ethische Überlegungen und die Zukunft der Ernährung
Die Metasynthese wirft wichtige ethische Fragen zur Zukunft der Lebensmittelproduktion auf. Wenn wir uns von der traditionellen Landwirtschaft abwenden und synthetische Lebensmittel essen, was bedeutet das für ländliche Gemeinden, landwirtschaftliche Kulturen und die Beziehung zwischen Mensch und Natur? Die Landwirtschaft hat die menschliche Gesellschaft seit Jahrtausenden geprägt, und ein Wandel hin zur Metasynthese könnte die Art und Weise, wie wir leben und mit der Umwelt interagieren, grundlegend verändern.
Darüber hinaus könnte die Enträumlichung der Lebensmittelproduktion sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Einerseits könnte sie den Druck auf die Ökosysteme verringern und eine Renaturierung sowie die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt ermöglichen. Andererseits könnte sie Millionen von Landwirten und Landwirtinnen verdrängen, insbesondere in Entwicklungsländern, deren Lebensunterhalt oft von der Landwirtschaft abhängt.
Auf dem Weg zu einer Welt, in der die Metasynthese eine grössere Rolle in der Lebensmittelproduktion spielt, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Vorteile dieser Technologien gerecht verteilt werden. Dies erfordert eine durchdachte Regulierung, öffentliches Engagement und die Verpflichtung, diese Innovationen für alle zugänglich zu machen.
Zu den Schreibenden
Das Unerwartete denken und schreiben ist das Motto von Gisela und Tilo Hühn. Gemeinsam verantwortungsvoll handeln, reflektieren und etwas bewirken sind die Eckpfeiler ihres Lebenskonzepts. Die beiden arbeiten als Forschende und Dozierende an der ZHAW: Gisela Hühn in der Forschungsgruppe für Lebensmittel-Prozessentwicklung, Tilo Hühn als Leiter des Zentrums für Lebensmittelkomposition und -Prozessdesign. Ob an der Hochschule oder am Küchentisch: Beide diskutieren und arbeiten gerne – zu zweit oder mit anderen – zu zukünftigen Ernährungssystemen sowie zu der Frage, wie man bei der Verarbeitung mehr vom Guten aus Agrarprodukten erhält.
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