Politische Partizipation

Politische Partizipation: «Momente des Anstosses» motivieren Jugendliche

21.03.2023
1/2023

Junge Menschen in der Schweiz würden sich stärker politisch beteiligen, wenn sie gehört und ernst genommen würden. Zu diesem und weiteren Ergebnissen kommt eine Studie im Auftrag des Bundes, die von ZHAW-Forschenden geleitet wurde.

Junge Menschen seien politikfaul, wird immer mal wieder öffentlich behauptet. Meist wird die unterdurchschnittliche Stimm- und Wahlbeteiligung junger Erwachsener als Beleg herangezogen. Doch das greift zu kurz, wie eine Ende 2022 veröffentlichte Studie im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) ergab. Bei einem weiter gefassten Begriff politischer Partizipation erweist sich eine Mehrheit befragter Jugendlicher und junger Erwachsener sehr wohl als politisch interessiert. Dies erklärt Projektleiterin Susanne Nef vom Institut für Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe am Departement Soziale Arbeit der ZHAW.

Was bedeutet politische Partizipation?

Sie unterstreicht, wie vielfältig politische Partizipation ist. Zum einen gehören institutionalisierte Vorgänge wie abstimmen, wählen oder die Beteiligung an einem Jugendparlament dazu. Zum anderen zählen auch Formen wie das Engagement gegen Rassismus, eine Diskussion im Freundeskreis, das Liken einer Aussage auf Social Media oder ein bewusster Konsumentscheid dazu. Letzteres steht – im Gegensatz zum Stimm- und Wahlrecht – auch unter 18-Jährigen und Jungen ohne Schweizer Staatsbürgerschaft offen. Für Susanne Nef ist das ein bedeutender Punkt, denn es habe sich gezeigt: «Gerade Jugendliche unter 18 und junge Erwachsene ohne Schweizer Pass bezeichneten sich zunächst als politisch nicht engagiert – weil sie es mangels demokratischer Mitbestimmungsrechte gar nicht sein können.» Dass politische Mitwirkung vorab daran gemessen wird, wie häufig jemand das Abstimmungscouvert einwirft, prägt also auch die Wahrnehmung der Jungen selber.

Mehrheit möchte mehr tun

Doch aus den Studienergebnissen geht laut Susanne Nef klar hervor: «Junge Menschen sind nicht so apolitisch, wie Erwachsene meinen.» Da erkennen die Forschenden brachliegendes Potenzial. «Politik betrifft uns alle»: Diesem Satz stimmten weit über 80 Prozent von 800 online befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu. Und rund drei Viertel können sich vorstellen, sich stärker politisch zu beteiligen. Doch was bringt sie dazu, dies zu tun, und was hindert sie daran? Diesen Fragen ging die Studie nach.

«Ihr wollt, dass wir uns stärker politisch engagieren – doch wenn wir es tun, werden wir von der Polizei weggetragen.»

Studienteilnehmerin

Ein zentrales Ergebnis lautet: Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene beteiligen sich politisch, die sich gehört und ernst genommen fühlen. Umgekehrt hemmen mangelnde Selbstwirksamkeitserfahrungen das politische Engagement, ebenso, dass dieses den Jugendlichen nicht zugetraut wird. «Viele, die sich engagieren, berichteten von einem motivierenden Moment des Anstosses», sagt Forscherin Susanne Nef. Es waren Momente, in denen Jugendliche realisierten: Ich könnte etwas verändern, und jemand glaubt, dass ich dazu fähig bin. Das kann beispielsweise eine Lehrperson sein, die Jugendliche auf eine Kompetenz anspricht, etwa auf die Fähigkeit, andere zu überzeugen.

Attraktive Themen, politische Skills

Junge Menschen lassen sich zudem von Themen politisieren, besonders von solchen, die sie selber oder ihre Generation betreffen. So sei etwa die Abstimmung über die Ehe für alle oft genannt worden, sagt Nef. Gleichstellungspolitik interessiere die Jüngeren allgemein, junge Frauen mobilisierte der grosse Frauenstreik 2019 in der Schweiz. Auch die Black-Lives-Matter-Bewegung, die Situation der Geflüchteten auf dem Mittelmeer und der Klimawandel sind wichtige Themenfelder. Gerade beim Klimathema machen Junge freilich die Erfahrung, dass ihre Partizipationsformen teilweise abgelehnt werden. Susanne Nef: «Eine Jugendliche sagte: Ihr wollt, dass wir uns stärker politisch engagieren – doch wenn wir es tun, werden wir von der Polizei weggetragen.»

Politische Bildung ist gefragt

Ganz besonders wichtig ist die politische Bildung, wie die Studie weiter zeigt. Den Jugendlichen ist es laut der Studienleiterin ein Anliegen, dass alle den gleichen Zugang dazu haben, von der Berufsschule bis zum Gymnasium. Denn ohne ein Grundverständnis für Strukturen und Prozesse der Politik fühlen sich junge Leute oft überfordert – und nicht nur sie, wie anzufügen wäre. Fest steht: Nicht alle bekommen im Elternhaus oder in der Schule gleich viel mit. Laut Susanne Nef geht es dabei nicht allein um Wissen zu institutioneller Politik. Jugendliche wünschen sich Gelegenheiten, um politische Kompetenzen zu erwerben, von der Meinungsbildung über Quellenkritik bis zum Austausch von Argumenten.

Empfehlungen für den Bundesrat

Die Auftraggeberin der Studie, die 20-köpfige EKKJ, berät als ausserparlamentarische Kommission den Bundesrat in Kinder- und Jugendfragen. Sie hat aus den Forschungsergebnissen Empfehlungen abgeleitet, um die politische Partizipation junger Menschen zu fördern. So rät sie etwa, deren Lebenswelten stärker zu beachten, Lernräume zu schaffen und politische Bildung in der Schule zu fördern. Entscheidend sei auch, «ernsthafte» Partizipation zu ermöglichen. Wissenschaftlerin Susanne Nef sagt dazu: «Nichts demotiviert junge Leute mehr, als bloss pro forma begrüsst zu werden, um bereits Entschiedenes abzunicken.» Es gelte, sie früh genug zu involvieren.

Ergebnisse via Social Media verbreiten

Die Forschenden der Studie, an der auch das Büro «ecoconcept», die Fachhochschule Westschweiz und die Tessiner Fachhochschule SUPSI mitwirkten, gingen selbst partizipativ vor, versteht sich. Mehrfach diskutierten sie Zwischenergebnisse mit insgesamt über 150 Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Dies unter anderem an fünf sogenannten Barcamps, das sind Anlässe zum Wissens- und Erfahrungsaustausch, offen für neue Ideen. Nach Abschluss der Studie bereiteten zudem ZHAW-Studierende am Departement Angewandte Linguistik Erkenntnisse für digitale Kanäle wie Facebook und LinkedIn auf. Wer jetzt denkt, das seien nicht unbedingt die von der Jugend favorisierten sozialen Medien, liegt richtig. Doch es gehe ja auch darum, die Erwachsenenwelt zu erreichen und zu sensibilisieren, sagt Forscherin Susanne Nef. Auf den Accounts der EKKJ werden dieses Jahr immer wieder Botschaften der Studie gepostet. Eine der ersten zeigt die Mädchenrechtsaktivistin Malala Yousafzai, die mit 17 Jahren den Friedensnobelpreis erhielt. Zu jung für Politik? Von wegen!

Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen

Die Eidgenössische Kommission für Kinder- und Jugendfragen (EKKJ) setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 1978 für die Partizipation von Kindern und Jugendlichen ein. Sie hat seit Beginn der 2000er Jahre zwei Grundlagenberichte erstellt sowie eine umfangreiche Meinungsumfrage («Ich und meine Schweiz») durchgeführt. Es gibt auch in der Schweiz inzwischen bereits einige Untersuchungen zu dieser Thematik. Noch zu wenig erforscht sind aber die Motivationen der Jugendlichen, sich politisch zu engagieren oder nicht. Das sollte mit dieser Studie untersucht werden. Die Studie zeigt, wie sich junge Menschen in der Schweiz zwischen 12 und 27 Jahren politisch beteiligen, was sie dazu motiviert oder daran hindert und wo sie Veränderungspotenziale sehen. Sie kann auf der Website der EKKJ heruntergeladen werden.

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