brandbeständig und klimafreundlich

Stahl und Lehm clever kombiniert

27.05.2025
1/2025

CO2-Reduktion, Kreislaufwirtschaft, günstiger Wohnraum: Ein neuartiges Bausystem aus Stahl und Lehm adressiert gleich mehrere Herausforderungen.

Im Schweizer Wohnungsbau dominieren (noch) Beton und Backstein. Doch gerade Beton verursacht durch den Zement grosse CO₂-Emissionen – und passt damit schlecht zur Klimapolitik der Schweiz. Gefragt sind Alternativen. Jay Renée Thalmann, Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Architektur, Gestaltung und Bauingenieurwesen, beschäftigt sich seit Langem mit ressourcenschonenden Bauweisen. 2017 führte das Institut Konstruktives Entwerfen einen Studienauftrag zu nachhaltiger Stahlbauweise für den Wohnungsbau durch. Thalmann nahm mit ihrem Architekturbüro Ressegatti Thalmann zusammen mit Bauingenieur Mario Rinke teil. «Im Fokus standen herkömmliche Stahl-Beton-Verbundsysteme aus dem Hallenbau. Unser Ziel war es, durch den Betonverbund die Brandschutzanforderungen zu lösen, den Stahl tragend einzusetzen und im Wohnungsbau zu etablieren», erzählt Thalmann. «Denn in der Schweiz wird derzeit

bei weniger als zwei Prozent der Wohnbauten Stahl sichtbar und tragend eingesetzt.»

Das Beste aus zwei Welten

Das aus dem Studienauftrag weiterentwickelte «Stahlkammer-Hybrid-Bausystem» kombiniert nun Stahlblech mit Lehm– dieser weist eine gegenüber dem ursprünglich verwendeten Beton eine bessere CO₂-Bilanz auf. «Beide Materialien können so ihre Stärken ausspielen – und ihre Schwächen kompensieren», erklärt Thalmann. Stahl erlaubt grosse Spannweiten – also grosse Abstände zwischen tragenden Bauteilen –, versagt aber bei hohen Temperaturen und hat einen grossen CO₂-Fussabdruck. Lehm erhöht den Feuerwiderstand der Konstruktion. In der Schweiz wird zu 90 Prozent

Recyclingstahl verarbeitet. Lehm ist meist Teil des Aushubs, der im Überfluss anfällt. Den vielversprechenden Ansatz überführten Thalmann und ihr Team 2022 in ein Innosuisse-Forschungsprojekt. Projektpartner waren die ETH Zürich, der Baumaterialienentwickler Oxara, das Metallbauunternehmen H. Wetter AG und das Stahlbauzentrum Schweiz. «Ziel war es, ein nachhaltiges, standardisiertes Skelettbausystem für kostengünstigen Wohnraum, Verdichtungen und Aufstockungen zu entwickeln», erklärt Thalmann. Die tragende Funktion übernehmen schlanke, C-förmige Kantprofile aus Stahl, die mit dem lehmhaltigen «Cleancrete» von Oxara ausgefüllt sind – einem Naturmaterial mit rund 90 Prozent weniger CO₂-Ausstoss als herkömmlicher Beton. Die Profile werden miteinander verschraubt. Im Sinne der Kreislaufwirtschaft lassen sie sich auseinandernehmen und wiederverwenden.

Zunächst wurden praxisnahe Bemessungsgrundlagen erarbeitet und Laborversuche durchgeführt, um das Trag- und Brandverhalten des Systems zu analysieren. An der ZHAW fanden sogenannte Kalttests mit Knick- und Biegeversuchen an Stützen, Trägern und Deckenelementen statt. Der «Cleancrete» musste so optimiert werden, dass keine Risse durch das Schwindverhalten im schlanken Querschnitt der C-Profile entstehen und der feuchte Lehm keine Korrosion am Stahl verursacht. Um die Feuerbeständigkeit des Systems zu prüfen, fanden Brandtests in einem Speziallabor in Mailand statt. «Das war eindrücklich – und nervenaufreibend», erinnert sich Thalmann. Auf die drei Meter lange Stütze wurde mit einer Kraftmessdose Last übertragen, um einen fünfgeschossigen Bau zu simulieren. «Die Stützen mussten dem Feuer 60 Minuten standhalten, bevor sich der Stahl zu verformen begann – mit Erfolg.»

Offene Ohren in der Fachwelt

Wie steht Thalmann aus architektonischer Sicht zur Ästhetik von Stahl? «Die schlanken Elemente, die bei geringen Spannweiten in Wohnungen möglich sind, können durchaus raumprägend und identitätsstiftend wirken», sagt sie. Kostenmässig liegt das System auf dem Niveau von Holzbau. Wie dort erfolgt die Vorfertigung der Elemente im Werk, was sowohl die Bauzeit verkürzt als auch Kosten senkt.

Thalmann hat bereits mehrere Wettbewerbe mit dem System bestritten. In der Fachwelt stösst das Konzept auf grosses Interesse – Thalmann wird regelmässig zu Vorträgen eingeladen, wie kürzlich an die TU Wien. Sie ist zuversichtlich, dass sich das innovative System bald in einem realen Bauprojekt bewähren und den Weg in den Markt finden wird.

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