Über intelligente Sonnenschirme und den Tanz der Identitätsfindung
Wie funktioniert ein smarter Sonnenschirm? Wie verlaufen Identitätsprozesse von jungen lesbischen/bi Frauen? Wie verbreitet ist sexuelle Belästigung durch Patientinnen und Patienten? Drei Abschlussarbeiten geben Antworten.
Ein Sonnenschirm, der mit der Sonne wandert
Er fährt an den gewünschten Ort, spannt sich auf und spendet konstant Schatten. «Unser Sonnenschirm richtet sich nach dem Stand der Sonne aus», sagt Léa Eckert, die an der School of Engineering Systemtechnik studiert hat. Zusammen mit Janick Bilang und drei Absolventen aus einem anderen Studiengang hat sie das Konzept für den intelligenten Schattenspender erarbeitet und einen Prototyp gebaut. «Ein vergleichbares Produkt existiert noch nicht», sagt Janick Bilang. Dies habe viel Raum für eigene Ideen gegeben. Die Basis des Sonnenschirms bildet eine fahrbare Plattform, die mit zwei Motoren sowie vier Rädern bestückt ist und an einen Staubsaug-Roboter erinnert. Sie sorgt für den Antrieb und kommt auf ebenen Stein- und Rasenflächen vorwärts. Das rechteckige Sonnensegel ist aus einer leichten Kunststoffplane gefertigt, damit der Schwerpunkt möglichst in Bodennähe bleibt. Es ist so gestaltet, dass es dereinst mit Solarpanels bestückt werden könnte und der Schirm autark funktionieren würde. Léa Eckert und Janick Bilang haben einen Ausfahr- und einen Neigungsmechanismus entwickelt, um den Schatten dorthin zu lenken, wo er benötigt wird. An der Stange haben sie ein Anemometer befestigt, der allfälligen Wind misst. Ab einer Windstärke von 30 Stundenkilometern fährt das Sonnensegel automatisch ein, was verhindert, dass der Schirm kippt. «Der Prototyp kann sich sehen lassen», findet Janick Bilang. Er habe zwar noch einige Schwachstellen, könne aber als Grundlage für weitere Entwicklungen dienen. Der Bachelorabsolvent beschreibt die Zusammenarbeit bei dieser Abschlussarbeit mit Elektrotechnik-Studierenden als spannend. Das interdisziplinäre Vorgehen habe allerdings den Zeitdruck erhöht. «Wir konnten die Mechanik nicht oft testen, es durfte nicht viel schiefgehen», so Bilang.
Léa Eckert (25) und Janick Bilang (24) haben als Bachelorarbeit in Systemtechnik einen intelligenten Sonnenschirm entwickelt. Dieser ist in der Lage, einen Bereich während einer bestimmten Zeit zu beschatten. Dazu positioniert er sich laufend neu. Drei weitere ZHAW-Absolventen haben die Software sowie elektronische Komponenten beigesteuert. Der Prototyp ist mit der Note 6 bewertet worden. Léa Eckert ist als Software Engineer bei Staedler Automation AG in Henau SG tätig. Janick Bilang arbeitet als Entwicklungsingenieur bei der Brütsch Elektronik AG in Beringen.
Wenn sich Pflegebedürftige an Pflegenden vergreifen
Eine unangemessene Berührung, eine Geste oder ein sexistischer Witz: Viele Pflegende erleben sexuelle Belästigung, wenn sie Patientinnen und Patienten versorgen. «Die meisten sind in ihrem Berufsalltag irgendwann damit konfrontiert», sagt Milena Bruschini. Die körperliche Nähe, welche Pflegeleistungen mit sich bringen, macht das Berufsfeld besonders anfällig dafür. Auch kognitive Beeinträchtigungen der Patientinnen und Patienten können Fehlverhalten begünstigen. Die Zahl der Betroffenen ist hoch. Weltweit erleiden etwa 25 Prozent der Pflegekräfte verbale, nonverbale oder körperliche Übergriffe. Frauen tendenziell häufiger als Männer, jüngere Personen häufiger als ältere. «Betroffene befinden sich in einem Dilemma», sagt Bruschini. «Sie wollen den Patientinnen und Patienten nicht schaden, sich aber selbst schützen.» Die Masterabsolventin hat erstmals Daten für die Schweiz erhoben. Sie hat dafür einen in Deutschland entwickelten standardisierten Fragebogen verwendet. Sie hat den Teilnehmenden zwölf mögliche sexuell belästigende Verhaltensweisen vorgelegt und wollte von ihnen wissen, wie häufig sie solche erlebt haben. «Sie mussten sich nicht selbst überlegen, ob eine Situation unter die Sparte der sexuellen Belästigung fällt», so die Autorin. Gemäss ihrer Auswertung haben 95,6 Prozent der Befragten in den letzten zwölf Monaten mindestens eine Form sexueller Belästigung erfahren. Nur 4,4 Prozent waren nicht betroffen. Lediglich 17,1 Prozent der Teilnehmenden gaben zudem an, sich in ihrer Ausbildung mit der Problematik befasst zu haben. «Junge Pflegepersonen werden zu wenig auf übergriffiges Verhalten vorbreitet», kritisiert Bruschini. Dies erschwere es gerade Einsteigerinnen udn Einsteigern, sich zu wehren. Nicht nur in der Lehre, sondern auch in den Pflegeeinrichtungen sei eine klare Haltung gefragt: «Pflegefachleute sowie Patientinnen und Patienten müssen wissen, dass sexuelle Belästigung nicht toleriert und sanktioniert wird.»
Milena Bruschini (26) hat untersucht, wie häufig Pflegefachleute sexuell belästigt werden und welche Faktoren dabei einen Einfluss haben. Sie hat dafür in der Deutschschweiz eine Online-Befragung durchgeführt und 251 Antworten ausgewertet. «Über das Thema wird in der Ausbildung und in der Praxis leider zu wenig gesprochen», sagt die ZHAW-Absolventin. Sie hofft, zur Sensibilisierung beizutragen. Ihre Studie ist mit der Note 6 bewertet und als beste Masterarbeit des Jahrgangs prämiert worden. Milena Bruschini arbeitet am Institut für Pflege als wissenschaftliche Mitarbeiterin.
Der Balanceakt von lesbischen/bi Frauen bei der Identitätssuche
Im Jugendalter gilt es, eine gesunde, stabile Identität zu entwickeln. Queere Menschen sind dabei besonders gefordert. Als Minderheit erleben sie zusätzlichen Stress. Sie sind mit heteronormativen Erwartungen konfrontiert, erleben Diskriminierungen und Stigmatisierungen. Sie müssen sich stärker mit geltenden Normen auseinandersetzen als heterosexuelle cis Jugendliche (diese identifizieren sich mit dem von aussen zugeschriebenen Geschlecht) und sich zu diesen positionieren. Was dies für junge lesbische/bi Frauen bedeutet, hat Tobias Kuhnert in seiner Abschlussarbeit untersucht. Er hat neun Frauen zwischen 15 und 25 Jahren befragt. «Sie gehen beeindruckend reflektiert mit den spezifischen Herausforderungen um, die sich ihnen stellen», sagt er. Die Befragten nutzten dabei vielfältige Strategien und seien sich der historischen und politischen Entwicklungen bewusst. Wie Kuhnert ausführt, wägen sie immer wieder ab, wann und wem sie ihre sexuelle Orientierung offenbaren. Indem sie erst einmal allgemein über queere Themen sprechen, sondieren sie etwa, ob ein Coming-out beim Gegenüber auf Wohlwollen stösst. Sie entwickeln ein lesbisches/bi Selbstbewusstsein und finden Halt in queeren Gemeinschaften. Geschützte Räume – etwa in Jugendtreffs – sind für sie besonders wichtig. Identitätsprozesse von lesbischen/bi Frauen verlaufen nicht linear und sind nie abgeschlossen. Der Masterabsolvent stellt sie in einem Modell dar und beschreibt sie als «Tanz zwischen Heteronormativität und lesbischem/bi Selbstbewusstsein». Die Soziale Arbeit müsse sich stärker mit queeren Lebenswelten auseinandersetzen, sagt er. «Damit lesbische/bi Frauen die gleichen Chancen haben wie andere Gruppen, braucht es einen besonderen Effort.» Gefragt seien spezifische Angebote, die «nicht für sie, sondern mit ihnen» erarbeitet würden.
Tobias Kuhnert (32) hat sich in seiner Masterarbeit in Sozialer Arbeit mit Identitätsprozessen von jungen lesbischen/bi Frauen befasst. Er schildert Bedingungen sowie Einflussfaktoren und zeigt auf, wie Frauen auf diese reagieren. Die Ergebnisse sollen Sozialarbeitende dabei unterstützen, auf die Bedürfnisse dieser Gruppe junger Menschen einzugehen. Kuhnert hat für seine Arbeit die Höchstnote erhalten und ist vor kurzem mit dem Nachwuchspreis der Schweizerischen Gesellschaft für Soziale Arbeit ausgezeichnet worden. Er ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Public Health der ZHAW tätig. Im kommenden Semester wird er ein Modul zu Lebenslagen von LGBTQAI+-Menschen anbieten.
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