Studierende entwickeln digitale Tools

Von der Suchtberatung bis zur Spaziergeh-App

19.09.2023
3/2023

Digitale Gesundheitsangebote könnten Lücken in der Gesundheitsversorgung schliessen. An der ZHAW lernen Studierende, solche Hilfsmittel zu entwickeln, aber auch sie kritisch zu betrachten.

Während seines stationären Aufenthalts in einer psychosomatischen Rehaklinik für Burnout wird Marcel bereits auf seine Rückkehr in den Alltag vorbereitet. Das Fachpersonal instruiert ihn, wie er Frühwarnsymptome erkennt, mit einer App überwacht und bei einem Rückfall die Therapeutin per Online-Chat erreicht. «So kann eine weitere therapeutische Begleitung frühzeitig beginnen und nahtlos in den Alltag integriert werden», erklärt die Gesundheitswissenschaftlerin Elke Weber. Solche digitalen Gesundheitsinterventionen haben das Ziel, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu verbessern. Dazu zählen nicht nur Apps, sondern auch Websites, Online-Beratungen oder telemedizinische Plattformen, auf denen Ärztinnen und Ärzte Daten wie Röntgenbilder oder Laborwerte weiterleiten und besprechen können. «Digitale Angebote sind eine grosse Chance, um Wartezeiten auf eine Beratung zu überbrücken oder um Patientinnen und Patienten zwischen Therapiesitzungen mittels Gesundheitsedukation zu begleiten», erklärt Weber.

«So kann eine weitere therapeutische Begleitung frühzeitig beginnen und nahtlos in den Alltag integriert werden.»

Elke Weber, Gesundheitswissenschaftlerin

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin unterrichtet an der ZHAW das Modul «Grundlagen digitaler Gesundheitskompetenz und -interventionen». Angeboten von der Fachstelle Interprofessionelle Lehre, ist es für zukünftige Hebammen sowie angehende Fachleute für Physiotherapie, Ergotherapie, Gesundheitsförderung und Pflege zugänglich. «Dadurch haben wir die Möglichkeit, die interdisziplinäre Zusammenarbeit – die erheblich zum Erfolg einer Behandlung oder Beratung beiträgt – zu üben und zu verstehen», sagt Weber.

Kompetenzen der Nutzenden steigern

In drei Unterrichtsteilen stärkt sie die Kompetenz der Studierenden, selbst digitale Angebote zu nutzen und zu entwickeln. Die Grundlage zu allen digitalen Interventionen bildet dabei die digitale Gesundheitskompetenz: «Wir müssen Menschen befähigen, online seriöse Gesundheitsinformationen aufzufinden, zu verstehen und für das eigene Gesundheitsverhalten zu nutzen», erklärt Weber. Die Gesundheitswissenschaftlerin beobachtet, dass die Zahl der Apps und Websites rasant ansteigt, während gerade vulnerable Gruppen wie Jugendliche oder ältere Menschen Mühe haben, vertrauenswürdige Angebote zu erkennen und davon zu profitieren.

Sicher ist, wer selbst recherchiert

Deshalb ist es der Gesundheitsförderin ein besonderes Anliegen, dass die Studierenden verstehen, wie online Vertrauen und Akzeptanz gegenüber neuen digitalen Hilfsmitteln entstehen. Ihre Studierenden führt sie deshalb in die Online-Vertrauens- und -Akzeptanzforschung ein und lässt sie bestehende digitale Gesundheitsangebote kritisch untersuchen: Wirkt das Angebot auf mich professionell? Gibt es ein Impressum? Bringen die dort aufgeführten Leistungserbringenden entsprechende Qualifikationen mit? «Eine solche Recherche sollte der Nutzung von eHealth immer vorausgehen», sagt Weber.

Abschluss mit eigenen Projekten

Die Studierenden entwickeln schliesslich in interdisziplinären Gruppen eigene Ideen für digitale Gesundheitsinterventionen, die sie auf einem wissenschaftlichen Poster präsentierten. Eine Gruppe  kombinierte digitale und Präsenzangebote beispielsweise für eine Website, die Jugendliche und Schwangere mit einer Suchterkrankung informiert, aber auch sozialen Austausch über Chatfunktionen oder Narcotics-Anonymous-Treffen anbietet. «Gemeinsam gegen Einsamkeit» hiess der Vorschlag eines weiteren Teams. Es nutzte Online-Kanäle, um Rentnerinnen und Rentner für gemeinsame Spaziergänge zu begeistern. Die begleiteten Ausflüge fördern das physische und psychische Wohlbefinden, indem sie das Zugehörigkeitsgefühl stärken und neue Kontakte ermöglichen.

«Im Bereich Digital Health ist eine fundierte wissenschaftliche Vorarbeit zentral, um möglichst passgenaue Angebote entwickeln zu können.»

Elke Weber, Gesundheitswissenschaftlerin

Die Arbeit am eigenen Projekt machte es möglich, die erworbenen Grundlagen anzuwenden und über die konkreten Bedürfnisse der Zielgruppe zu reflektieren. «Im Bereich Digital Health ist eine fundierte wissenschaftliche Vorarbeit zentral, um möglichst passgenaue Angebote entwickeln zu können», erklärt Weber.

Chance für ländliche Gebiete

Digitale Gesundheitsinterventionen eröffnen insbesondere in ländlichen Gebieten neue Zugänge zur Gesundheitsversorgung. «Auf dem Land sind die Gesundheitsversorgung sowie die Infrastruktur tendenziell rückläufig und die Einwohnerschaft muss zunehmend längere Wege zu Gesundheitseinrichtungen auf sich nehmen», sagt Weber. Im kommenden Herbstsemester bietet sie daher ein Aufbaumodul an, das sich digitalen Angeboten für die ländliche Schweiz widmet. Dabei werden die Studierenden auch die spezifischen Ressourcen von ländlichen Gebieten analysieren. «Auf dem Land ist beispielsweise das Gemeindeleben aktiver», führt Weber aus. «Das ist eine Chance, um Menschen digitale Hilfsmittel näherzubringen und Vertrauen aufzubauen.»

Fachtagung über Technologie in der Ergotherapie

Der 7. Winterthurer Ergo-Gipfel vom 2. März 2024 steht unter dem Titel «Ergotherapie trifft Technologie»: Wie können Apps, Roboter, Virtuelle Realität und Künstliche Intelligenz (KI) in der Therapie Verbesserungen bringen? Neben Referaten und Berichten aus erster Hand bietet der Ergo-Gipfel die Möglichkeit, sich unter Fachleuten auszutauschen und zu vernetzen.

Den Auftakt machen drei Schwerpunktreferate. Daniel Rickenbacher berichtet, wie er in seinem Bürojob sowie als Blogger und Referent mit technischen Hilfsmitteln Grenzen seiner Behinderung (Cerebralparese) überwindet. Vera Kaelin, Postdoktorandin an der Umeå Universität in Schweden, wird Beispiele von KI-Anwendungen und deren Chancen und Gefahren vorstellen. Und Stefan Staubli, Leiter soziale und berufliche Integration am Paraplegiker-Zentrum in Nottwil, geht auf den Stellenwert von technologischen Neuerungen – zum Beispiel virtuelle Welten – in der Integration ein.

Fünf Kurzreferate geben Einblicke in konkrete Anwendungs- und Entwicklungsbereiche. So zum Beispiel in den Einsatz von neuen Technologien bei Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung, bei Assessments und Heimprogrammen über räumliche Distanz oder in die Entwicklung von Ergotherapie-Apps.

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