Ein Berufsbild im Wandel

Hybride Diplomatie: Brückenbauer zu Big Tech

20.09.2022
3/2022

Die digitale Transformation hat die Anforderungen an Diplomatinnen und Diplomaten verändert. Zunehmend werden Personen gesucht mit Verständnis für neue Technologien als Brückenbauer zu BigTech-Firmen.

Lange galten virtuelle Interaktionen als schlechte Alternative zu persönlichen Treffen. Dann kam die Covid-19-Pandemie. Mit den damit verbundenen Reisebeschränkungen hat sich auch die Welt der Diplomatie verändert. Hochrangige Treffen, wie Gespräche der G20, Sitzungen des Menschenrechtsrats in Genf oder die Generalversammlung der Uno im September 2020, wurden plötzlich rein virtuell oder hybrid durchgeführt. In der Welt der Diplomatie, in der bis dahin ein striktes Protokoll zum Alltag gehörte, spielten diese Traditionen plötzlich keine prominente Rolle mehr: Internationale Treffen glichen einem ganz normalen Business-Meeting auf dem Laptop: Rang- und Sitzordnungen spielten keine Rolle mehr, der amerikanische Vertreter wurde genauso wie die Schweizer Vertreterin auf ein kleines Fenster auf dem Bildschirm reduziert.

Neues Vertrauen aufbauen geht nicht virtuell

Die beiden Forschenden zu digitaler Diplomatie Corneliu Bjola und Ilan Manor befragten in einer Studie «The Rise of Hybrid Diplomacy» 130 Diplomatinnen und Diplomaten zu ihrer Wahrnehmung dieser Veränderungen. Das Ergebnis: Zum einen sei es gut möglich, auch einen virtuellen Raum zu «lesen», denn die Körpersprache des Gegenübers sei heute gut zu erkennen. Dank der Chat-Funktionen könne die Atmosphäre im Raum gut eingeschätzt werden. Zum anderen sei eine gute Führung der Sitzung im digitalen Raum noch wichtiger. Nicht geeignet seien digitale Plattformen, wenn es darum gehe, Vertrauen zu unbekannten Gesprächs- oder Verhandlungspartnern aufzubauen – dafür seien nach wie vor physische Treffen notwendig. Nicht zuletzt wurde auch eine gewisse «Zoom-Müdigkeit» als Hindernis für virtuelle oder hybride Diplomatie genannt: Denn bei umstrittenen Themen muss man in Online-Settings deutlich mehr Zeit investieren, um Einigkeit zu erreichen als offline. Das werde häufig als sehr ermüdend empfunden.

Datenschutz und Datensicherheit

Skepsis besteht bei manchen Regierungsvertreterinnen und -vertretern gegenüber den üblichen Konferenztools hinsichtlich Datenschutz und Datensicherheit: Zoom und Microsoft Teams dürfen dort nur für Gespräche über öffentliche Themen, jedoch weder für vertrauliche Inhalte noch für interne Besprechungen verwendet werden, wie sich unlängst bei einem Symposium im Rahmen der EURAM, der grössten europäischen Konferenz für Managementwissenschaften, an der School of Management and Law zeigte.

Technologische Expertise versus Mobilität

Doch nicht nur die Werkzeuge haben sich verändert. Mit der Digitalisierung wandelt sich auch das Berufsbild von Diplomatinnen und Diplomaten: Heute werden in den Aussenministerien immer mehr Personen angeheuert, welche zuvor im Privatsektor und im Tech-Bereich gearbeitet haben. Ein gutes Verständnis von neuen Technologien und deren Ökosystem ist heute unabdingbar, um in der neuen Welt der internationalen Beziehungen zu bestehen. Dies bedeutet in einigen Ländern auch eine Abkehr vom traditionellen System der Versetzungslogik, bei der diplomatisches Personal alle drei bis vier Jahre auf einen neuen Posten oder in ein neues Land entsandt wird. Heute ist für einige Aussenministerien die Bereitschaft, sich eine gewisse technologische Expertise anzueignen und diese über längere Zeit weiterzuentwickeln, wichtiger als die Bereitschaft zu Mobilität.

Sind Ältere auf verlorenem Posten?

Auch wenn ältere Mitarbeitende nicht mit vielen dieser neuen technologischen Möglichkeiten aufgewachsen sind, gibt es keine Hinweise, dass unterschiedliche Fähigkeiten im Umgang damit auf die Altersfrage reduziert werden können. Denn nicht das spezifische technologische Know-how müsse jemand beherrschen, sondern die Konzepte und die Funktionsweise der neuen Möglichkeiten verstehen. In diesem Sinne haben einige Staaten damit begonnen, ihre Top-Diplomatinnen und -Diplomaten stärker für Social Media zu sensibilisieren, bevor sie in ein neues Land entsandt werden. Die Repräsentantinnen und Repräsentanten sollen erkennen können, welche Tools und Kanäle sich in welchem spezifischen kulturellen Kontext als Arbeitsmittel eignen.

Die neue Herausforderung: Umgang mit BigTech

Digitale Souveränität ist besonders für Kleinstaaten eine zentrale Herausforderung angesichts der Abhängigkeit von grossen ausländischen Tech-Firmen, sei es beim Thema Public Cloud, das heisst wie und wo Daten gespeichert werden, oder bei vielen anderen IT-Anwendungen. Deshalb müssen Diplomatinnen und Diplomaten heute häufig den Kontakt zu diesen Grosskonzernen herstellen und Entwicklungen im Tech-Sektor antizipieren und analysieren. Dänemark hat dies 2017 als erstes Land erkannt und einen Technologiebotschafter nach Kalifornien ins Silicon Valley entsandt und im Folgejahr auch nach Peking. 

Estlands «Data Embassy»

Estland wollte beispielsweise unabhängig werden bei der Datenaufbewahrung und hat ein eigenes Rechenzentrum in Luxemburg unter estnischer Souveränität aufgebaut. Nun verfügt der Kleinstaat über eine «Data Embassy» mit einem Back-up der wichtigsten Systeme des Landes. Laut Nele Leosk, Botschafterin für Digitales im estnischen Aussenministerium, gehöre zu den Aufgaben von Diplomaten auch, die Institutionen ihrer Länder, die sich mit digital Governance befassen, zu unterstützen, zum Beispiel bei Verhandlungen mit Big Tech bezüglich IT-Infrastruktur. Es gibt jedoch zahlreiche Beispiele, die zeigen, wie herausfordernd das Brückenbauen zwischen Regierungen und Big Tech ist – sehr oft bleiben die Türen im Silicon Valley für kleine und mittelgrosse Länder verschlossen. In diesem Herbst will die EU  neu einen Tech-Botschafter ins Silicon Valley schicken, der dann helfen soll, Kooperationen zwischen Regulatoren und grossen Technologiefirmen zu erleichtern.

*Dominique Ursprung ist stellver­tretender Leiter des Center for Global Competitiveness der ZHAW

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