Wenn unser Körper altert
Warum altert unser Körper und wie können wir diese Prozesse bremsen? Ein Feld, das die Forschung und die Anti-Aging-Industrie beschäftigt. Ziel ist, den Lebensabend möglichst beschwerdefrei zu leben.
Der Autoreifen reibt mit der Zeit ab, Zahnräder am Fahrrad unterliegen Verschleiss, die Holzfassade verwittert durch Regen und Sonne: Wie jedes andere Material ist auch der menschliche Körper ständig chemischen und physikalischen Belastungen ausgesetzt. Mit zunehmendem Alter summiert sich dieser Stress – der Körper altert. «Wir bestehen aus Materie und die unterliegt dem Zahn der Zeit», so Michael Raghunath, Leiter Fachstelle Zellbiologie und Tissue Engineering. Wie sich dieser Alterungsprozesse aufhalten lässt, ist ein riesiges Forschungsfeld. «Dank moderner Medizin ist die Lebenserwartung deutlich gestiegen. Nun geht es darum, auch die Gesundheitsspanne zu steigern – dass wir also auch die letzten Jahre unseres Lebens möglichst gesund und fit sind.»
Am Anfang sind die Zellen
Die Alterungsprozesse im Körper laufen auf der Ebene der Zellen ab. So wie Sauerstoff Metalle rosten lässt, werden auch Zellen durch oxidative Vorgänge geschädigt. Und UV-Strahlung, die Kunststoffe spröde werden lässt, greift auch unsere Hautzellen an. Im Gegensatz zu toter Materie hat unser Körper aber die Fähigkeit, geschädigte Zellen zu ersetzen. In der Haut, im Darm oder in der Lunge erneuern sich die Zellen regelmässig, sie teilen sich. Beliebig oft lässt sich dieser Vorgang jedoch nicht wiederholen, denn die Anzahl der Zellteilungen ist beschränkt. Bei jeder Teilung können zudem auch kleinere Pannen passieren, indem zum Beispiel ein Teil der Erbinformationen verloren geht oder mutiert. Diese Fehler summieren sich mit der Zeit. Eine Folge davon ist, dass sich Zellen unkontrolliert vermehren und Krebs entsteht.
«Werden dem Körper essenzielle Aminosäuren nicht zugeführt, bedient sich die Leber am Muskelprotein.»
In anderen Organen teilen sich die Zellen kaum. Geht dort eine Zelle kaputt, kommen die sogenannten Stammzellen zum Einsatz. Sie können sich mehrfach teilen und haben die Fähigkeit, sich zu unterschiedlichen Zelltypen zu entwickeln. So springen Stammzellen in die Bresche. Mit zunehmendem Alter werden aber auch sie müde und ihre Zahl nimmt ab. Um die Zellalterung aufzuhalten, werden verschiedene Ansätze erforscht: beschädigte und gealterte Zellen gezielt auszuschalten, die Zellteilung wieder zu stimulieren oder den chemischen Stress zu reduzieren. Ein Beispiel sind Antioxidantien, die freie Radikale binden und so verhindern, dass sie Zellen angreifen.
Verlust von Beweglichkeit und Kraft
Weniger mit der Zellerneuerung zu tun hat, dass unser Körper mit der Zeit an Beweglichkeit einbüsst. Vielmehr sind dafür fortschreitende Vernetzungen verantwortlich: Verschiedene Zuckerarten zirkulieren im Blut, um unsere Organe mit Energie zu versorgen. Sie gelangen auch ins Bindegewebe und verkleben das Kollagen in Sehnen, Bändern, Haut, Kapseln und Blutgefässen. Wird der Körper steifer, bewegt sich der Mensch weniger, die Muskeln bilden sich zurück. Der Verlust von Muskelmasse ist eine typische Alterserscheinung, die aber nicht allein mit dem Bewegungsverhalten zu tun hat. Auch die Ernährung ist wichtig, wie Raghunath erklärt: «Werden dem Körper essenzielle Aminosäuren nicht zugeführt, bedient sich die Leber am Muskelprotein, um diese bereitzustellen.» Und schliesslich sind auch Muskelzellen dem Alterungsprozess unterworfen.
«Mit einem 3D-Drucker haben wir Satellitenzellen aus Muskeln zwischen zwei Pfosten gedruckt. Innerhalb von rund zwei Wochen entwickeln sie sich zu ganzen Muskelfasern.»
Für ein selbstständiges Leben bis ins hohe Alter spielen die Muskeln eine zentrale Rolle – sie sind wichtig für einen gesunden Grundumsatz und die Gewichtskontrolle, für das Gleichgewicht und als Prävention vor Stürzen. Hinzu kommt, dass Muskeltätigkeit auch für die Stabilität und Dichte von Knochen wichtig ist. Den Alterungsprozess von Muskeln zu erforschen und Substanzen zu finden, die deren Abbau verlangsamen, ist deshalb einer von vielen Forschungszweigen der Anti-Aging-Industrie.
Muskeln im Modell erforschen
So hat die Fachgruppe 3D-Gewebe- und Biofabrikation in Zusammenarbeit mit einem Pharmaunternehmen ein Modell eines Skelettmuskels entwickelt. «Im Muskel gibt es sogenannte Satellitenzellen», erklärt Forscher Markus Rimann. «Sie sind eine Art Stammzelle, die sich bei Bedarf zu Muskelzellen entwickeln und anschliessend fusionieren, um die langen Muskelfasern zu bilden. So kann sich der Muskel zum Beispiel bei Verletzungen regenerieren.» Rimanns Gruppe hat mit einem 3D-Drucker solche Satellitenzellen zwischen zwei Pfosten gedruckt. Innerhalb von rund zwei Wochen entwickeln sich die Satellitenzellen zu ganzen Muskelfasern und verbinden sich mit den Pfosten – ähnlich wie die Muskeln im Körper mit den Knochen. «Wenn wir diesen Muskel mit elektrischem Strom stimulieren, zieht er sich zusammen und verbiegt die Pfosten», erklärt Rimann. Je stärker der Strom, desto stärker ist die Beugung und damit die Kraft.
Menschliche Satelittenzellen aus dem 3D-Drucker
Fügt man dem Muskelmodell eine Substanz bei, lässt sich messen, ob sich die Beugung verstärkt oder abschwächt. «Man weiss von verschiedenen Stoffen wie etwa Koffein, dass sie die Muskelkraft positiv beeinflussen», so Rimann. «Mit diesen Substanzen haben wir das Modell getestet und konnten zeigen, dass es wie ein natürlicher Muskel reagiert.» In Zukunft könnten solche Muskelmodelle aus Zellen von Menschen unterschiedlichen Alters oder mit muskulären Erkrankungen hergestellt werden, um die Muskelfunktion und die Wirkung von Substanzen zu erforschen.
Trainieren und kräftig würzen
Vorderhand ist aber noch kein Allerheilmittel in Sicht, das den Muskelabbau im Alter stoppt. Machtlos sind wir aber trotzdem nicht, wie Michael Raghunath erklärt: «Bewegung und gezieltes Muskeltraining sind extrem wichtig, um bis ins hohe Alter fit zu bleiben.» Entscheidend ist auch eine ausgewogene Ernährung. Auch dazu hat der Mediziner einen Rat: «Weil auch der Geschmackssinn mit dem Alter nachlässt, schmeckt das Essen weniger und der Appetit lässt nach. Mein Rezept dagegen: Gerichte einfach etwas stärker würzen, damit das Essen weiterhin Spass macht. Und: in Gesellschaft schmeckt es am besten.»
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